Das wechselhafte Agenturleben beutelt Buddy Müller manchmal sehr. Der Trend zum Insourcing kostet ihn Kraft, Nerven und Kunden. Zwei der drei Verluste sind nicht umkehrbar.

Es scheint durchaus gerechtfertigt, das Agenturleben mit Kinderspielzeug zu vergleichen. Manche Marktbegleiter sagen, nicht nur das Agenturleben – man treffe überall auf genügend Hampelmänner und -frauen oder – ungenderbar – auf Kasperlköpfe.
Ich begnüge mich mit einem Jo-jo-Vergleich – das Agenturleben ist ein beständiges Auf und Ab, ein Hin und Her…
„… ein Rein und Raus, und meistens überschlägst Du Dich“, ergänzte Brad MacCloud, mein sprechendes Macbook Pro (das nur ich hören kann). „Wenn Du Glück hast, bekommst Du dabei nichts auf den Hinterkopf.“
Brad kannte nicht nur mein mangelndes Talent mit der Holzrolle an der Schnur. Er wusste auch, dass der Vergleich griff: An Nackenschlägen hatte ich schon einiges einzustecken gehabt. Die Beziehung Kunde-Agenturmensch ist nun mal eine volatile, meist auftrags-, nicht emotionsgebundene. Dennoch eine emotionale.
Man sieht sich immer zweimal.
Auch wenn man sich vielleicht nie wieder sehen will.
Hilfe zur Selbsthilfe
Eine der Möglichkeiten, wie die Beziehung zwischen Kunde und seinem Mediendienstleister zu Ende gehen kann, ist diese: Die Teams des Kunden und der Agentur sind einander zu ähnlich geworden.
Der Fachmann – und die Fachfrau – umschreiben das gerne als Insourcing. Ein Trend, der seit geraumer Zeit im Agenturleben zu beobachten ist.
Agenturen helfen nämlich ihren Auftraggebern bereitwillig, umfassend und zeitunabhängig; sie bauen Teams auf, selbst wenn der Arbeitsmarkt leer ist, etwa für Redaktion, für Grafik, für Projektmanagement, für das Digitale sowieso. Geschult wird, was das Zeug hält, damit nicht mehr willkürlich Wörter von links nach rechts gereiht und auf beliebig viel Weißraum, auch im Digitalen, verteilt werden. Wirkung soll das ganze erzeugen; messbare obendrein. Dafür engagiert man Strategen und KPI-Spezialisten, die die Kenngrößen definieren, überprüfen und so formen, bis sie Ergebnisse liefern, die zur eingeschlagenen Strategie passen.
So in etwa. Das steckt viel Arbeit drin. Und viel Herzblut.
Unweigerlich kommt aber irgendwann der Anruf vom Kunden: „Buddy, es tut mir leid. Aber wir machen es jetzt selbst.“
So ging es mir schon öfters in meinem Agenturleben, etwa bei dem weltmarktführenden Hersteller Deutschlands von Kupferblechhaudraufmaschinen.
Er sourcte in und wir waren out.
Das ist zwar schon so lange her, dass ich noch eine CD einlegen musste, um Simon & Garfunkels „Fifty Ways to Leave Your Lover“ zu hören. Aber es steckt heute noch tief. Manche nennen mich nachtragend.
„Manche Leute sind so“, sagte Brad MacCloud. „Deswegen hast Du auch die Vinyl-Fassung von ‚Concert in Central Park‘ im Schrank.“
Wer das Nest beschmutzt
Qwertz, mein Lieblingsteamlead, weiß besser als ich mit Tiefschlägen umzugehen. Etwa, indem er die Medien seiner Ex-Kunden als Ausbildungsmaterial einsetzt. Unsere Volontäre Lang und Länger – von denen der eine lang und der andere immer länger arbeitet – dürfen dann an den fremden Texten üben. Sie zählen Rechtschreib- und Kommafehler und versuchen sich als Fleißaufgaben an Headlines, dem zu schleifenden Ausdruck oder dem Aufspüren des fehlenden Bezugs zur Unternehmensstrategie.
„Nicht jammern“, sagte Brad MacCloud, „Eure Branche hat selbst an der Misere Schuld.“
„Weil wir zu hilfsbereit sind?“, fragte ich.
„Ach was. Ihr werdet bezahlt dafür“, sagte mein Notebook. „Vielleicht nicht ausreichend. Aber bezahlt.“
Nein, analysierte Brad weiter und streute Salz in meine stets offenen Wunden, solange wir Agenturen uns gegenseitig die Kompetenz absprechen würden, bräuchten wir uns nicht zu wundern, wenn Kunden das Know-how, wo immer sie es herbekommen können, fest ins Unternehmen holen.
Das saß.
Erst neulich versuchte sich ein Agenturinhaber an einem eigenen „Content-Piece“, mit dem er nach links und rechts heftig austeilte und auf Freelancer wie auf Content-Marketing-Agenturen einschlug.
Ihre Konzepte und Artikel lieferten keinen Beitrag zum ROI, zur Marketingstrategie auch nicht und der Vertrieb, der dringend kommunikative Unterstützung bräuchte, sei für sie wie ein unbekanntes, fernes Land. Kurz: Eine untreue, unzuverlässige Bande seien sie. Alle zusammen.
Bis auf eine Agentur. Nämlich seine eigene.
Das wiederum war den scharfen Augen erfahrener Marktgrößen nicht entgangen. Speziell eine schlug die Tasten an und damit gezielt zurück. Sie zerlegte, unter allgemeiner Zustimmung und von vielen fachlich versierten Kommentaren in den Sozialen Kanälen begleitet, Argument für Argument dieses Nestbeschmutzers, der sich zu Unrecht beim Schreiben wohl schon im höchsten Content-Marketing-Himmel wähnte.
Als besonders nachteilig erwies sich für ihn der immer wieder eingeflochtene Hinweis auf das Online-Seminar „How to hire Content-Manager“ – welches er kosten- und selbstlos für die ach so rat- und hilflosen Unternehmen anbot.
„Ich kann mir nicht vorstellen“, schloss Brad, „dass Dein Branchenkollege mit seinem Beitrag viele Seminare verkauft hat.“
Erstens, antwortete ich, wolle ich so jemanden nicht als Kollegen. Auch nicht als entfernten. Und zweitens, müsse ich ihm ja fast dankbar sein, denn gegenüber einem schwarzen Schaf wie diesem strahlen wir weiße Schafe noch viel heller.
Gern ein wenig läuten lassen
Da klingelte das Telefon und riss mich aus dem Diskurs mit meinem scharfsinnigen Macbook. Ich glaubte die Vorwahl zu kennen, die Durchwahl aber nicht. Ich tat das, was wir Agenturmenschen gerne tun in so einem Fall: Ich ließ das Telefon erst ein bisschen läuten.
Als die Nummer am nächsten Tag zum elften Mal im Display erschien, schaltete sich Brad MacCloud ein und mahnte mich zu handeln: „Code RC … An deiner Stelle würde ich es mir mal anhören.“
Code RC. Das steht für Returning Customer.
Da ging ich ran.
Ihre Stimme habe ich sofort wieder erkannt.
Mit den Jahren war sie reifer geworden; vielleicht lag es am steten Zigarettenkonsum – oder an den zahllosen Meetings mit ihren internen Content-Managern. Obwohl sie mich mittlerweile eher an eine eiserne Tatort-Staatsanwältin erinnerte als an die tatkräftige Marketingchefin des Kupferblechhaudraufmaschinenherstellers, kehrten mit einem Schlag alle Erinnerungen zurück.
„Buddy, wir brauchen Ihre Hilfe“, knarrte sie durch die Leitung. „Es geht nicht mehr ohne Sie!“
Einiges habe sich geändert, sagte sie.
Während im Hintergrund eine E-Zigarette röchelte wie ein Zimmerbrunnen ohne Wasser, erklärte mir die Marketingchefin, warum sie zwingend wieder auf externe Kräfte setzen müsse. Sie schilderte mir ihr aktuelles Kommunikationsproblem, eindringlich, ausführlich, nicht flehend, aber drängend. Relaunch, Website, alles magaziniger, Inhalte, die wirklich wirken. So ungefähr in dieser Art.
Ich hörte schon nicht mehr zu.
Meine Kundin brauchte mich. Das reichte.
Man sieht sich eben immer zweimal. Zum Glück.
Mache Wortexperten sagen, „Jo-Jo“ käme aus dem Französischen, von „jouer“, also spielen. Andere glauben herausgefunden zu haben, dass der Name aus dem Tagalog komme, der wichtigsten Sprache der Philippinen. Die Bedeutung sei „Komm, komm!“.
Ein Ruf, den Buddy Müller nur allzu gerne von seinen Kunden hört.
Herrlich! 🤣 »…alles magaziniger…« – „Mehr Content“ ist ja schon alt, jetzt muss der Content „magaziniere“ werden… Wie ich das liebe… ❤️
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Und storytelliger. Habe ich fast vergessen. Unbedingt storytelliger!
Danke für Deinen Kommentar!
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Hallo Buddy – und selbstverständlich gehen auch Grüße raus an Brad..
Haha, ja so ist die Werbebranche: ALLE LÜGEN! Und wenn es nur darum geht, andere als zweitklassig abzuqualifizieren. Und natürlich ist die eigene Agentur immer DIE ABSOLUT BESTE, und alle anderen nur 2. Wahl! Aber das ist ja das schöne – man sieht sich immer zweimal..(Hmm.. das waren jetzt ganz schön viele Wörter mit der Zahl 2 – will uns das was sagen? Außer dass jetzt wahrscheinlich auch das 2. Jahr mit Covid, der Weihnachtsmarkt ins Wasser fällt?)
Das mit den Inhalten ist natürlich so ein Ding. Ein Mitarbeiter hat möglicherweise einen besseren Blick auf interne Dinge ist vielleicht aber kein begnadeter Schriftsteller, den man gerne liest. Als Externer muss man mit den Dingen arbeiten, die man bekommt. Im schlimmsten Fall ist das was man als Material bekommt wertloses Geschwafel (aka Mist). Daraus Goldfäden zu spinnen, die dann auch noch Bares in die Kasse spülen (denn darum geht es doch nur) ist sicher ganz hohe Kunst. Eine Garantie, dass ein teuer eingekaufter Freelancer Geschichten in der Qualität eines Shakespeares storytellt (sorry, Ihr Agenturmenschen liebt ja Anglizismen, deshalb habe ich statt dem schnöden Wort schreiben, einen in euren Ohren wohlfeil klingenden Begriff gewählt), gibt es aber leider nicht.
Ich glaube in eurer Branche würde ich mich nicht wohl fühlen. Dafür muss man echt geboren sein – oder ein Masochist.. Alleine die Arbeitszeiten.. ich sage nur „Lang und Länger“. Glücklicherweise bin ich ja auch schon im geistigen Greisenalter – Wie würde Roger Murtaugh aus Lethal Weapon sagen: „Ich bin zu alt für diesen Scheiss!“. 🙂
Und einen schwarzen Rolli zu tragen – da würde ich mich ins Jahr 1970 zurückversetzt vorkommen – und mich in der verhassten Schule wiederfinden. Eventuell sogar im doppelt verhassten Deutsch-Unterricht!! Obwohl er – also der Rolli – mir nachdem ich jetzt wieder diesen drahtig, athletischen Körper habe, gut stehen würde.. 🙂
Also lass den Kopf nicht hängen. DU UND DEINE AGENTUR – IHR SEID DIE BESTEN. ALLES ANDERE IST HÜHNERPUPS!!
Bleibt gesund!
CU
P.
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Mein lieber Dr. Nerd (aka P.),
was hätte wohl Shakespeare gesagt, wenn man ihn einen „Storyteller“ genannt hätte? Und wenn er schon gewusst hätte, dass seine Erzähltechniken einmal Pate stehen würden für eine Branche, die sich zwar den Inhalten verschrieben hat, aber die Mechanismen, mit denen man Menschen fasziniert und berührt, benutzt, um Werbung zu machen? Man berührt nicht nur in erster Linie, man verführt eben auch.
Shakespeare jedenfalls rotiert im Grabe um die Wette mit den Autoren des Gilgamesch-Epos, mit Homer, den Evangelisten, Gothe, Schiller, u. v. a. m.
Du bist übrigens der erste, der sich Gedanken darüber macht, ob er sich im Agenturleben wohl fühlen würde … Manche rutschen rein, etwa, „ich war jung und brauchte das Geld“, andere übersehen vor lauter bezahlter Kreativität, dass sie auf den permanenten Zustand der Selbstausbeutung zusteuern. Manche haben richtig Spaß daran. Das sind dann entweder die Chefs. Wie mein EmmDee, der Managing Director. Oder Typen wie ich, die die „weltweit beste Content-Marketing-Agentur Deutschlands“ nur mehr noch mit einem Augenzwinkern sehen können. (Nein, dass ist kein nervöses Zucken. Brad MacCloud wollte mich auch schon zum Arzt schicken.)
Hast Du eigentlich Rechte an „Alles andere ist Hühnerpups“? Ich arbeite gerade an einer Imagekampagne, um genau zu sein an an einer Personal-Branding-Strategie. Falls der Satz frei ist, also, ich würde ihn nehmen.
Liebe Grüße
Dein Buddy
PS: Rollis, schwarze Existenzialisten-Pullis, die besitzen in der Tat eine Retro-Coolness, die Corona-geprägte Styles nicht bieten können. T-Shirt, Hoodie, Jogging-Hose – ja, wo sind wir denn? Nicht im Deutschunterricht, aber auch nicht beim hyperintensiven Intervalltraining des lokalen Fitnesstempels. Brad hat mir ein Rolli-Abo bei einem Herrenausstatter besorgt; Alternativen inklusive. Lass Dich überraschen.
PPS: Bleib gesund!
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Hi Buddy!
Du kannst von mir alles haben! Hätte ich ein Erstgeborenes auch das! Aber das habe ich schon an einen Schausteller-Familie verkauft. Autoscooter einparken hat ja irgendwie auch was mit dem boomenden Elektroautomarkt zu tun, oder? Auch den Satz: „Alles andere ist Hühnerpups“ – scheinbar hat den noch keiner erfunden. In eurem Agency-Speak würdet Ihr das perhaps creative content creating nennen? Eine Abkürzung mit CCC – Manno, was bin ich heute kreativ – oder besser creativ! Google sagt jedenfalls keine Treffer. Also geschenkt mein Bester..
Falls dir dieser Satz zum Durchbruch verhilft und Du in einer ergreifenden Feier, in der Dir endlich die Bedienungsanleitung eurer sündhaft teuren Siebträgermaschine ausgehändigt wird und Du zum Nachfolger eures EmmDee ernannt wirst – dann denk vielleicht wehmütig an mich zurück.
Ich wünsch Dir nur das Beste. Und wenn ich so lese, dass Du das auch nur noch mit einem Augenzwinkern siehst, dann hoffe ich, dass es Dir nicht irgendwann geht, wie Inspektor Dreyfuss bei Inspektor Clouseau – irgendwann wurde aus dem vergnüglichen Augenzwinkern ein nervöses Augengeklicker – die nächste Stufe war dann die Geschlossene.. 🙂
Bleib auch Du gesund!
Auch Dir liebe Grüße
P.
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