#folge9 #BenefizBier

Corona verdirbt nicht den Charakter, aber das Bier. Buddy Müller steht kurz vor Weihnachten vor einer wirklichen Notlage.

Die Entwicklung eines Claims war schon immer eine Ressourcen zehrende Aufgabe.

Wie oft musste ich diese Binse in jüngster Zeit lesen? In der Krise beweise sich der Charakter, gemeint ist der wahre, leider oft schlechte, was der Zitatgeber Helmut Schmidt einst im sturmgefluteten Hamburg sicher nicht im Sinne hatte.

Corona als Charakter-Katalysator? Das stimmt nicht.

Denn für diejenigen, deren Glas schon vor der Krise stets halbleer war, ist es in der Krise sicher nicht halbvoll. Was sich ändert, ist die Gebindegröße – das Schnapsglas ist mittlerweile zum Maßkrug mutiert.

Wenn sich jemand mit gläsernen Behältnissen und deren Füllungen auskennt, dann sind wir es, wir Agenturmenschen.

Blankes Entsetzen packte mich, als mich Lila Stiefelchens Anruf ereilte. Dass es wirklich, wirklich wichtig war, erkannte ich daran, dass mich unsere Controlling-Praktikantin nach drei geflissentlich von mir ignorierten Versuchen auf Teams, dann zwei weiteren auf meinem Festnetz, schließlich auf meinem Handy anrief.

„Das Bier wird schlecht, Chefff“, sagte Lila Stiefelchen.

„Das kommt in einer gut geführten Agentur nicht vor“, entgegnete ich.

„Eben“, konterte sie.

Lager für Lebensformen

Aus ihrem Corona-konformen Home Office habe sie sich todesmutig in die Agentur gewagt, damit wenigstens einmal jemand nach dem Rechten sehe. Die Küche habe sie nur mit Maske betreten. Eine Regel, die ihrer Auffassung nach künftig immer gelten sollte.

Denn wir haben zwei Kühlschränke.

Der eine ist für Lebensmittel – die meisten von uns sehen ihn aber als Teil eines agenturweit angelegten Versuchsprogramms an, in welcher Zeitspanne aus totem organischem Material wieder selbständig aktive, zum Teil geruchsintensive Lebensformen werden können.

Von Quartal zu Quartal wurde die Versuchsreihe neu gestartet. So auch diesmal.

„Zack, einmal gekärchert, und fertig“, sagte Lila Stiefelchen.

Der andere Kühlschrank berge das eigentliche Problem. Nämlich, dass das Bier schlecht werde.

Entgegen der gegenüber der Berufsgenossenschaft von Dr. No (der Assistentin unseres Bosses) vehement vertretenen Meinung, bei uns gäbe es gar kein Bier, nein, ganz sicher nicht, war der raumhohe, blitzende Getränkesafe mit so ziemlich allem gefüllt, was die Bierbrautradition zwischen Kölsch und Doppelbock hervorbrachte.

Wie allen Lebensmitteln, so ist ja auch dem Gerstensaft ein Verfallsdatum beschieden – bei normaler Anwesenheit von Agenturmenschen oder Kunden in der Agentur führt dies nicht zum Problemfall.

Schnelle Entsorgung

Aber: Was sich in der Krise tatsächlich bewies, war die schon seit zig Monaten andauernde Freude am Home Office und die damit verbundene Unerreichbarkeit unseres Bierreservoirs.

„Wie schlimm steht es?“, fragte ich besorgt.

„Es ist ungefähr so, als biete man die Frühjahrskollektion am Black Friday an.“, sagte Lila Stiefelchen.

So schlimm also. Zu erwarten war auch, dass die Situation über die Feiertage hinweg nicht besser wurde. Was wartete auf der anderen Seite von Silvester? Ein weiterer harter Lockdown?

Das Bier musste weg. Schnellstmöglich.

Lila Stiefelchen wäre nicht unsere ebenso blitzgescheite wie blonde Praktikantin der Controlling-Abteilung gewesen, wenn sie nicht umgehend einen Lösungsvorschlag präsentiert hätte.

„Chefff“, begann sie, „wir machen das jetzt so …“

Was sie dann skizzierte, war der wahre Dienst am Getränk und rangierte sofort in meiner engeren Auswahl für die Legendenbildung unserer Agentur.

Natürlich mussten wir unter dem absoluten Siegel der Verschwiegenheit operieren. Zum einen gilt unser Boss, der EmmDee, als großer Bierkenner, der im Haus der 111 Biere jeden Markennamen rückwärts aufsagen kann, selbst nach ausgiebigen Tasting. Wäre durchgesickert, dass Bier bei uns das Verfallsdatum signifikant überschritten hatte, wäre sein Ruf ruiniert gewesen. Und wer hätte seine Wut darüber ausbaden müssen? Wir!

Zum anderen: Agenturmenschen sind durstig.

Nicht nur unsere Mitarbeiter, sondern auch die der Marktbegleiter im Stadtviertel. Hätten wir das Bier einfach so verschenkt, hätten sich Menschentrauben vor unserer Agentur gebildet, sicher mit Mund-Nase-Schutz, aber ebenso sicher auch mit Anzeige vom Kreisverwaltungsreferat wegen einer nicht angemeldeten Massenveranstaltung.

„Wir machen einen Wohltätigkeitsevent daraus“, sagte Lila Stiefelchen. Immerhin sei Weihnachten: „Wir verkaufen das Bier mit Corona-Zuschlag, und den spenden wir.“

Also halfen wir alle zusammen.

Trinken für die Tafel

Qwertz entwarf das Leitmotiv der Ankündigungskampagne, eine klassische braun-transparente Euro-Flasche, die sich aus Datumszahlen und Barcodes formte. Die Volontäre Lang und Länger texteten den Claim – „Bier für Bedürftige“ fiel gleich durch, weil die genannte Zielgruppe nicht auf freie, soloselbständige Agenturmitarbeiter beschränkt sein sollte. Gegenüber „Saufen für Soziales“ und „Zwitschern für den guten Zweck“ setzte sich „Trinken für die Tafel“ durch, zumal dann auch eindeutig der Empfänger der Spende bezeichnet war.

Brad MacCloud, mein Notebook, dessen Rechenleistung genügt hätte, um den Weg sämtlicher Hefebakterien in deutschen Sudkesseln vorherzusagen, fütterte unser Content-Management-System mit Textbausteinen, die er nach dem Zufallsprinzip auf unseren Servern zusammensuchte, kombinierte diese zu Posts und schoss sie, zum Glück mit lokalem Fokus, hinaus in alle verfügbaren sozialen Kanäle.

Dr. No erklärte sich bereit, den zu erwartenden Ansturm an unserer improvisierten Verkaufstheke im Empfangsbereich unter Einsatz all ihres herben Charmes zu koordinieren. Und unser EmmDee steuerte aus seinem privaten Keller noch drei Kästen mexikanisches Corona bei, dessen Ablaufdatum auf einen Direktimport per Seeweg noch weit vor dem ersten Lockdown schließen ließ.

Ein historisches Bier mit historischem Bezug. Für ein historisches Event. Die Agenturszene würde zahllosen nachfolgenden Generationen davon erzählen.

Der Agentur-Ausschank

Dabei war „Trinken für die Tafel“ gefühlt in wenigen Minuten vorbei, der Kühlschrank leer, die Kasse voll, ein paar Agenturmenschen auch, aber gut. So sind wir halt.

Lila Stiefelchen und ich hielten bis zur letzten Flasche die Stellung.

Dann blitzten Stiefelchens Augen über dem Rand der farblich auf ihr Schuhwerk abgestimmten Maske. Sie wirbelte ihr Handy in ihrer Hand hin und her, tippte hier, tippte da, und sagte schließlich: „Chefff, wir sollten das Agenturmodell überdenken.“

„Das sage ich seit Jahren“, entgegnete ich. „Das alte Agenturmodell hat ausgedient.“

„Auch schon mal über einen Getränkedienst nachgedacht?“, fragte sie mich und hielt mir ihre Taschenrechner-App unter meine geschützte Nase.

Ein schöner, zweistelliger Wert strahlte mich an.

„Wir haben heute mehr Rendite gemacht“, klärte sie mich auf, „als mit unserem Kundenmagazin für unseren Lieblingskunden, den Horizontalspülbohrmaschinenhersteller.“

Mehr als im gesamten Jahr, setzte sie noch nach.

Nun, vielleicht ist doch etwas dran, dass sich in der Krise der Charakter beweist. Geschäftssinn und Controlling-Abteilung, das passt nun mal perfekt zusammen.

Und die halbvollen Gläser, die waren ganz voll.

Wenigstens zu Weihnachten.


Beim Schreiben hat Buddy Müller fünf Flaschen Bier geöffnet, um einen adäquaten Vergleichstest des Verfallsdatums durchführen zu können … Err ffermutet, dassss das Bierr auch noch länger im Kühllschhhrank durchchgehalten hätte … Egahll, sssu schpät.

Empfehlungen von Lieblingsbiermarken gerne an buddy_mueller@gmx.net oder direkt unten in die Kommentare.


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Veröffentlicht von Buddy Müller

Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

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