#folge21 #BlaBlaRing

In Agenturen ist die Taktung immer immens hoch. Welche weitreichenden Auswirkungen ein digitaler Taktgeber am Handgelenk mit sich bringen kann, hat Buddy Müller zunächst nicht bedacht.

Seit Buddy Müller eine Apple-Watch trägt, erinnert er sich auch an traditionelle und wirksame Methoden der Leistungssteigerung.

Dass wir mit Geräten sprechen, ist nichts ungewöhnliches. Es gibt Menschen, die sprechen mit ihrer Spülmaschine. Oder mit ihrem Auto. Große Kolumnisten sprechen schon mal gerne mit ihrem Kühlschrank, und ich, nun ja, ich spreche schon seit längerem mit meinem MacBook Pro, das nie um eine Antwort verlegen ist.

Zum Glück kann nur ich ihn hören.

Gänzlich anders dagegen verhielt es sich mit dem digitalen Fortschrittsstück, das seit kurzem mein Handgelenk zierte. Das mit mir sprach. Kommunizierte. Und mich trieb.

Lahme sollen damit wieder laufen lernen, hatte meine Frau gesagt, als sie mir die Uhr als Geschenk überreichte. Einen sakralen Hintergrund dieser Bemerkung konnte ich schlechten Gewissens und mit morgendlichem Blick auf die Waage ausschließen. Auch wenn für manche Apple-Jünger Jesus aus Cupertino stammte: Der jüngste große Wurf der Marke mit dem angebissenen Apfel sollte mich weg vom Rechner und zurück auf das Laufband bringen.

Ich legte die Uhr an.

Und die legte los.

Kaffee oder Kontemplation?

Die ersten Tage zählten wohl als Eingewöhnungsphase. Meine Uhr meldete sich immer wieder mit hellem Glockenklang und motivierenden Botschaften wie „Fantastischer Start!“ oder „Neuer Bewegungsrekord!“.

Auf dem Bildschirm rotierten „Badges“, digitale Auszeichnungen, die ich wie am Schnürchen sammelte. Erstaunlich, was mein Puls und die Leitfähigkeit meiner Haut den Sensoren meiner Uhr alles verrieten.

Dann, es war einer der ersten Tage zurück in der Agentur, in Präsenz, frisch geboostert. Ich wollte meinem vermissten Morgenritual frönen und mir einen Lungo Sartana aus der Siebträgermaschine im Wert eines Kleinwagens ziehen.

„BING!“ machte meine Uhr.

„Bevor du dich in den Tag stürzt“, stand strahlend weiß auf spiegelndem Schwarz, „nimm dir ein paar Minuten Zeit und reflektiere ein wichtiges Thema.“

Aber gerne doch. Der wichtigen Themen gab es schließlich genug.

Während ich auf die psychedelischen Farbmuster starrte, die an meinem Handgelenk entstanden und verschwanden, überlegte ich, welches Thema ich wählen sollte.

Etwa Qwertz‘ Wunsch nach mehr Gehalt. Den er, mein Lieblings-Team-Lead, „zufällig“ unmittelbar nach der Veröffentlichung unseres positiven Jahresabschlusses geäußert hatte – was mir wieder den Puls bis zu den Ohrläppchen trieb.

Oder das Pitchbriefing zur Erstellung einer Content-Strategie für den weltweit führendsten Hersteller von Pendelhubsägen Deutschlands – dessen kurzfristiger Abgabetermin das Pulsäquivalent eines 100-Meter-Sprints auslöste.

Oder aber, ähnlich pulstreibend, mein unbedachtes „Hoffentlich“ zur Neujahrsansprache meines Managing Directors, des EmmDee, der, über Vergänglichkeit sinnierend, wähnte, es könne seine letzte Rede sein …

Ein mehrstimmiges Räuspern in meinem Rücken riss mich aus meiner Selbstbetrachtung.

Ich wirbelte herum, erblickte eine ganze Reihe wartender Kolleginnen und Kollegen mit Kaffeedurst in den Augen.

Gleichzeitig quittierte mir mein Nicht-nur-Zeitmesser lautstark – BING! BING! – das Schließen des Bewegungs- und des Stehrings.

Was wiederum zu hochgezogenen Augenbrauen und mitleidigen Blicken führte (diese Kollegen merkte ich mir genau).

„Ahh, gut“, sagte ich, während ich mich aus der Agenturküche davon machte, „mein Uhr-Instinkt sagt mir, ich lass euch dann mal an die Maschine.“

Mitarbeitende zu Uhrmenschen

Tagelang sammelte ich weitere digitale Auszeichnungen, etwa für Achtsamkeitsbestmarken, die Verdoppelung meines Kalorienverbrauchsziels (was nicht hieß, dass ich die Ziele auch erreichte) und die längste tägliche Gehstrecke (circa 20mal täglich von meinem Büro zur Siebträgermaschine und zurück).

Falls ich tatsächlich das Atmen vergaß, erinnerte mich meine Uhr mit deutlichem Vibrieren daran, dass es wieder mal Zeit sei Luft zu holen.

Da hatte ich die Idee aller Ideen, die Uhridee. Sie würde helfen, Gehaltsansprüche endlich angemessen zu bemessen, Pitches drastisch zu beschleunigen und sie würde mich bei meinem EmmDee wieder ins rechte Licht rücken.

Ich wandte mich an Brad MacCloud, mein stets hilfsbereites MacBook Pro.

„Du hast dich sicher schon mit ihr bekannt gemacht?“, fragte ich und deutete auf mein Handgelenk.

Brads Kameraauge verdunkelte sich. „Natürlich“, sagte er wortkarg. „Madame hat eigene Vorstellungen, wie man miteinander umgeht.“

„Die uhreigensten Vorstellungen“, witzelte ich. Und fügte schnell hinzu: „Sie hält mich ganz schön auf Trab.“

„In ihrer Vorversion war sie an einem Unternehmensberater“, sagte Brad tonlos.

Das erklärte manches.

„Du meinst, so ein richtiger Unternehmensberater?“, fragte ich. „So mit Leistung messen und Prozesse verbessern? Mit Kästchen ziehen und FTE entlassen?“

Das würde ungeahnte Möglichkeiten eröffnen, fuhr ich fort. Denn ich hätte eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, nachgerade bahnbrechend, die Brad doch bitte zeitnah mit meiner Uhr durchgehen solle.

Und natürlich umsetzen.

Voraussetzung: Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter solle mit so einer Apple-Watch ausgestattet werden.

Papperlapapp und Performance

Als Senior Project Supervisor trage ich schließlich eine enorme Verantwortung in unserem Laden. Es ist ja nicht nur die physische Fitness wichtig, um den Job gut zu machen.

„Auch die psychische Fitness?“, fragte Brad.

Papperlapapp, mir ging es um die pure Performance.

„Ich will einfache Kenngrößen“, sagte ich zu Brad. „Etwa Pitch-Anzahl pro Monat, Angebote pro Woche, E-Mails pro Stunde oder Chat-Nachrichten pro Minute.“

Das alles müsse an der Veränderung des Blutdrucks messbar sein, so mein Kalkül.

Damit nicht genug, das Messen würde aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sein: Für die Redaktion sollte es den Content-Ring geben. Die Grafik hätte täglich, nein, besser stündlich den Design-Ring zu schließen, und das Controlling würde am Rendite-Ring gemessen. Der bei schwarzen Zahlen fröhlich wie eine Registrierkasse klingelte und bei roten Zahlen höllisch feuersprühend rotierte.

Die digitalen Auszeichnungen würden endlich und zeitnah, also sofort, über unser Intranet die von vielen vermisste interne Wertschätzung gegenüber allen Kolleginnen und Kollegen eindeutig dokumentieren.

Statt den „Mitarbeitenden des Monats“ würde es künftig den „Uhrmenschen der Woche“ geben.

Sogar die leidigen Erinnerungen an die Zeiterfassung könnten endlich abgeschafft werden, wenn jeder Mitarbeiter so einen digitalen Taktgeber am Arm trüge.

„Ab einer Woche nicht eintragen: einmal täglich Vibrieren“, überlegte ich. „Ab zwei, drei, vier Wochen nicht eintragen: zweimal, dreimal, viermal täglich Vibrieren.“

„Und danach?“, fragte Brad unsicher.

„Stromstöße?“, fragte ich zurück. „Nur so kleine? Nur so ein bisschen?“

Brads Kameraauge glühte auf.

Ich spürte förmlich, wie er seine Arbeitsspeicher aufpumpte, um mir eine Replik entgegenzuschmettern.

Er kam nicht dazu.

„BING! BING! BING!“, lärmte meine Uhr und rüttelte an meinem Handgelenk. Auf dem Bildschirm stand: „Du hast den Blabla-Ring geschlossen.“

Weiter unten stand zu lesen: „Du hast den Aufmerksamkeitsrekord geschafft. Mache weiter so!“

Ich blickte von der Uhr zu Brad, zurück zur Uhr, zurück zu Brad.

„Das wird eher un- als uhrgemütlich“, kommentierte Brad.

Ich wusste, was ich zu tun hatte.

Ich öffnete den Verschluss meiner Uhr und sagte: „Ich brauche Uhrlaub. Dringend.“


In vielen Jahren des Agenturlebens hat Buddy Müller eine Reihe an Zeiterfassungssystemen kennengelernt. Allen gemeinsam ist, dass sie dem letzten großen Rätsel der Menschheit auf der Spur sind: das verursachungsnahe Messen und schließlich die Verrechenbarkeit geleisteter Agenturstunden.

Buddy Müller vermutet, dass dieses Rätsel niemals gelöst werden wird.


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Veröffentlicht von Buddy Müller

Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

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11 Kommentare

  1. Hi Buddy!
    Taktung hat ja viel mit Taktgefühl zu tun – etwas was vielen Zeitgenossen leider völlig abgeht. Kann man ja aktuell im Trash TV sehen – das „Dschungelcamp“ lässt grüßen. Naja, dass bei der jungen Dame der Mund schneller war als das Hirn konnte man ja von Sekunde Eins der Staffel an bereits mit ungläubig aufgerissenen Augen sehen. OK, Taktgefühl ist jetzt auch nicht gerade meine Königsdisziplin – aber mittlerweile weiß Man(n), wann er die Klappe halten sollte und wann nicht.
    Ja, diese kleinen Unterarm-Umschnallspielzeuge – nicht zu verwechseln mit anders gearteten Unterbauch-Umschnallspielzeugen – sorgen manchmal für Vergnügen und manchmal für Frust. Das kann allerdings auch bei den bereits genannten und bitte nicht zu verwechselnden menschlichen Anlege-Geschirren vorkommen (habe ich jedenfalls gehört).
    Dass selbst Brad Probleme hat, mit deiner neuen Freundin klar zu kommen, verwundert nicht – Weibsvolk, selbst wenn es mechanisch-elektronischer Natur ist und nicht aus lebendem Zellgewebe, ist – jedenfalls nach den Langzeitstudien der Dr. Nerd Labs, extrem zickig und nicht Bindungsfähig – jedenfalls je hübscher und verwöhnter Sie sind..
    Ich selber bin auch seit Jahren von einer elektronischen Zeitmessungs-Domina versklavt worden, die mich zu immer neuen Höchstleistungen anpeitscht. Mittlerweile würden meine Badges einen ganzen Raum füllen – wenn ich die ausdrucken würde. Strecken von der Länge des Ganges =2.500 Km, Sambesi =2.600 Kilometer , Donau = 2.800 Kilometer und der australischen Ostküste mit 3.000 Kilometern zeigt mir das Luder hochnäsig auf dem Display – und hat schon angefangen mich in die nächste Marathonübung zu stecken. Ich weiß noch nicht was mich erwartet – nur dass ich schon über 600 Kilometer dafür geschwitzt habe. Wenn mich das Miststück weiter so auf Trab hält, werde ich das Ziel wohl bis Ende der Woche erreicht habe – falls meine gummiweichen Knie meinen Körper dann überhaupt noch aufrecht halten können…
    Die Idee diese Zeiterfassungsmaschinen quasi als freiwillig angelegte Fussfesseln umzufunktionieren hat natürlich eine gewisse Genialität – dass diese Idee bereits vor Jahren nicht von Dir (oder Brad) selber kam, wundert mich ein bißchen – aber vielleicht bist Du doch tief im Innern ein Softie und glaubst noch an das Gute im Menschen.
    So, ich muss jetzt mal in die Nasszelle – der Kaffee hat seine Wirkung getan. Ich hoffe meine Uhr quittiert dies nicht mit einem „das war aber ein tolles Käckerchen, Peter – weiter so!“ – wundern würde es mich nicht… 😉
    CU
    P.

    Gefällt 1 Person

    1. Mein lieber Herr Gesangsverein! Nein, lieber Dr. Nerd,
      Takt ist wirklich nicht nur der Musik vorbehalten, auch Taktung nicht. Ich stelle fest, dass Du leider nur allzu genau weißt, was Zeiterfassung auslösen kann, insbesondere bei Hirnarbeitern. Ich war mit meinem Wunsch nach Stromstößen sicher zu voreilig – hatte ich doch gar nicht auf dem Radar, dass Hirnströme sich davon beeinflussen lassen könnten. Mitunter nicht positiv … Gut, bei manchen Kollegen (m/w/d) wäre das auch schon egal. So viel zum Softie.
      Jetzt wünsche ich Dir noch viel Erfolg mit Deiner Strecke – die Woche ist noch nicht um. Wieviel hast Du geschafft?
      CU2
      Buddy
      PS: Ich schau mal wieder auf ein Rezept bei Deinem Blog vorbei 😉

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      1. Hi Buddy!
        Stromstöße waren lange Zeit ein probates Mittel in der Psychatrie um falsch verschaltete Synapsen wieder zusammenzulöten (geholfen hat’s nicht viel, aber die Pfleger aka Wärter aka Folterknechte hatten wenigstens ihren Spaß) – und die pragmatisch denkenden US-Boys haben sich gedacht – „viel hilft viel“ und haben dann überflüssige und zur Endsorgung (oder heißt es Entsorgung?) frei gegebene Zeitgenossen damit knusprig gebruzzelt. Ja, wenn die Amis was können, dann Menschen professionell um die Ecke bringen…
        Ich habe derlei Spaß mit Strom am eigenen Leibe erlebt – nicht in den USA sondern bei mir zu Hause – weshalb ich jetzt einen Herzschrittmacher habe. Von daher kann ich mit Überzeugung sagen: „Witzig ist anders..“ 🙂
        Tja, was meine Marschleistung angeht, da bin ich momentan etwas Wetterabhängig – aktuell ist es nicht so ratsam durch die Gegend zu latschen – das Risiko bei dem Wind eine Dachpfanne, einen Ast oder einen rumfliegenden Kleinwagen vor den Detz zu bekommen ist mir dann doch zu groß. Und pläddernass durch die Gegend zu stapfen ist auch nicht so meins – da sitz ich lieber im warmen und mach mir einen heißen Kakao..
        Ich hoffe dass ich mit den Rezepten aus dem Quark komme – aktuell habe ich gefühlt 20 Blogbeiträge in der Mache – bekomme aber keinen wirklich fertig.. 😦
        Naja, irgendwas ist ja immer..
        Wir lesen uns mein Lieber Buddy – Grüße auch an Brad – er soll auf Spannungsspitzen im Netz aufpassen, nicht dass er von einer Überdosis noch einen Schluckauf kriegt..
        CU
        P.

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