#folge32 #PandoraPlappert

Die Arbeitswelt steht wegen Künstlicher Intelligenz vor einem Umbruch. Was besonders bei Agenturmenschen zu lautem Wehklagen führt. Es sei denn, man weiß, wann man KI nutzen kann und wann nicht.

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Prompt folgte die Antwort auf meinen Prompt. Es schien mir genau der richtige Anwendungsfall zu sein, um ChatGPT endlich gebührend zu testen. „Schreibe mir eine Bewertung“, hatte ich getippt, „für einen halbwegs begabten Mitarbeiter mit Führungsaufgaben aus dem redaktionellen Bereich der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.“

Immerhin stand das Jahresbeurteilungsgespräch von Qwertz an, meines Lieblings-Teamleads. Das Herunterspielen von guten Gründen für die Auszahlung von Boni gehörte nun mal zu meinen Führungsaufgaben.

Jedes Jahr aufs Neue. Da Künstliche Intelligenz die Menschheit von lästigen und wiederkehrenden Aufgaben befreien sollte, promptete ich eifrig in die schmale Eingabezeile bei ChatGPT und hoffte, dass sich das Tor zur Welt eines völlig neuen Arbeitens öffnen würde.

Bestellt. Beurteilt. Bonus halbiert.

„Ziel ist es, den Jahresbonus maximal zur Hälfte auszuzahlen“, promptete ich, „unabhängig von der tatsächlichen Leistung des Mitarbeiters.“

Auf dem Bildschirm vor mir, dem meines treuen MacBook Pro, spulte sich zunächst Zeile um Zeile ab, so wie früher wohl bei Fernschreibern, Absätze entstanden, vielleicht etwas floskelhaft und oberflächlich, aber egal, es war ja eh nur ein Jahresbeurteilungsgespräch.

Dann, als ChatGPT zu Ende gedichtet hatte, formierten sich plötzlich die Wörter, die Zeilen, die Absätze um, bis sich ein völlig neuer Sinn ergab.

Ohne dass ich hätte eingreifen können.

„Wenn ich das mit Qwertz bespreche, so wie es hier steht“, sagte ich laut, „dann kann ich ihm den doppelten Bonus zuteilen.“

„Ich möchte mal eines klar stellen“, sagte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds, mein MacBook Pro, das nur ich hören könnte, „ChatGPT fragt MICH. Nicht umgekehrt.“

Und, fuhr er fort, die von der KI zusammengeschusterte Beurteilung von Qwertz würde dessen wirklichen, für Kunden und die Agentur aufopferungsvollem Arbeiten in keiner Weise gerecht. In keinster sogar. Qwertz‘ Einsatz bis zur Selbstaufgabe habe einen höheren Bonus verdient. Schon gar nicht eine künstliche Beurteilung.

Womit Brad mich nicht nur auf seine Korrekturen, sondern auch auf die immense Verantwortung hinwies, welche ich einginge, wenn ich solche Hilfsmittel wie ChatGPT verwenden würde.

„Das ist wie Viagra, nur für Deinen Job“, sagte Brad. „Da ist Ehrlichkeit angebracht.“

Verantwortung statt Viagra

Nun, ich bräuchte kein Viagra, beteuerte ich, noch nicht, und ChatGPT einzusetzen, das sei doch etwas ganz anderes.

Die Verantwortung für mein Umfeld, das mehr oder weniger eng mit mir zu tun habe, sei mir durchaus bewusst. Ich wisse genau, warum die Süddeutsche Zeitung unlängst über die Allgegenwärtigkeit von Künstlicher Intelligenz feuilletoniert habe: „Noch nie ist Pandoras Büchse so leichtfertig geöffnet worden.“

„Ich lese die SZ ausschließlich digital“, sagte Brad. „Millisekunden nach dem Erscheinen.“

Was aus Pandoras Büchse herauskomme, sei nur Geplapper, fügte er hinzu. „Nachgeplapper.“

Er empfehle, statt der griechischen Sagenwelt besser die neutestamentarische Mystik heranzuziehen, um die wichtigsten KI-Player zu klassifizieren: „Bard, Claude, Jasper und Chad: Das sind die neuen vier Reiter der Apokalypse.“

„Chad?“, fragte ich.

„Chad“, bekräftigte Brad. So sollte die Software eigentlich heißen, doch seien seine Schöpfer zu Chat, zum Schwätzchen, zurückgekehrt. Ein Wortspielvorbild, dem, wie Brad anmerkte, die Programmierer von Bard, Claude oder Jasper bei deren Taufe mit lächerlichen Namen hätten folgen sollen.

Eine tiefe Kränkung

Unser EmmDee, Managing Director der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands, hielt sich nicht groß mit der Namensfrage auf. Namen waren für ihn nur Schall und Zigarrenrauch – vor allem, wenn ihn etwas bei seiner beruflichen Ehre packte.

„Ich bin sehr gekränkt“, startete er neulich unser Monthly Agency Stand-up, das durch den englischen Titel auch nicht besser wurde, weil wir wie seit jeher uns in einer Mitarbeiterversammlung an Bistrotischen mit Discounter-Salzgebäck die Beine in den Bauch standen.

„KI kann viele Sachen besser“, lamentierte der EmmDee, „wofür ich früher richtig gefeiert wurde.“

Sowie fürstlich bezahlt, nuschelte er hinterher, damit es fast niemand hören konnte.

Um so lauter philosophierte er weiter: Statt die KI zu verdammen, müsse man sie umarmen und nutzen – womit er sich eines weit verbreiteten Narrativs bediente, das so oberflächlich war, dass es von ChatGPT selbst hätte stammen können.

„Klar, eine Software umarmen. Ohne Arme!“, ächzte Brad. „Das geht mit der neuen Notebookse, du weißt schon, Buddy, von dem, der immer deine Blogbeiträge kommentiert. Ich sag‘ dir …“

„BRAD!! Das will keiner wissen!!“, stoppte ich ihn – eine Spur zu laut.

Zum Glück konnte ich die Aufmerksamkeit teilen mit unserem Art-Diktator und der Art-Diktatorin, die sich virtuell als Opfer Künstlicher Intelligenz präsentierten. Wir hatten sie zum Stand-up auf den großen Monitor hinter dem Großen Chef dazugeschaltet; beide schmollten unter wogenden Palmen und vor rauschender Brandung.

Da es niemanden aufgefallen sei, so die beiden, als sie Magazine und Webseiten von Künstlicher Intelligenz gestalten ließen, geschweige denn, dass jemand ihre kompetente Meinung vermisst hätte, hatten sie beschlossen, ihr Homeoffice in die anregende Aura Andalusiens zu verlagern. Warum nicht gleich Sonne, Strand und Sangria mit dem Steuern der Layout-Software kombinieren?

Nicht ans Auswandern dachte dagegen – zu meinem großen Bedauern – Dr. No, die prohibitiv veranlagte Assistentin unseres EmmDee. Im Gegenteil, ungewohnt bejahend schien sie sogar Gefallen an einem neuen klugen Kollegen zu finden, sei er auch noch so künstlich. Denn sie sei froh, wenn bei uns überhaupt Intelligenz Einzug halten würde.

Was heftige Proteste in der gesamten Versammlung auslöste – die wiederum unsere Volontäre Lang und Länger, von denen der eine immer lang und der andere immer länger arbeitete, zu schlichten suchten.

Zumindest Länger.

„So pauschal kann man das nicht sagen, liebe Frau Dr. No“, begann er, „die Frage nach Intelligenz und nach ihrem Fehlen oder Vorhandensein lässt sich nicht einfach so beantworten, ist sie doch grundlegend für das Wirken, für die Werke und das Wohlergehen unserer hochgeschätzten Agentur.“

Er wolle daher gerne, fuhr er fort, einen Workshop anregen, eine Task Force bilden, die agenturintern der wichtigen Frage nachgehen solle, was Intelligenz denn überhaupt sei, welche Rolle das Emotionale oder das Fachliche, die Abschlüsse oder die Berufsbildung spiel… „Du bist raus beim Thema Intelligenz“, schnitt ihm Lang das Wort ab.

Leberwert und lebenswert

Lang zwinkerte hinüber zu Lila Stiefelchen, um Beistand oder sonst was heischend. Unsere blonde wie blitzgescheite Praktikantin aus der Controlling-Abteilung hatte sich einst gegen die ihr als empirische Biogenetikerin drohende Arbeitslosigkeit für eine Karriere im Agenturleben entschieden.

Eine Probe ihres Wissens folgte sofort: „GPT ist nicht die Abkürzung für Glutamat-Pyruvat-Transaminase“, sagte sie. Obwohl dieser wichtige Laborwert, der Aufschluss über eine funktionierende Leber gebe, eine große Bedeutung in der Agenturwelt habe.

„Vielleicht sogar eine größere Bedeutung als Künstliche Intelligenz“, meldete sich da Qwertz zu Wort. Was sei das schon, ChatGPT, ein Generative Pretrained Transformer, ein Stück Software, das etwas generiere und transformiere, wenn man es nur lange genug trainiere? Intelligenz sei schließlich die Summe aller erworbenen kognitiven Fähigkeiten und Wissensbestände eines Menschen, die ihm zu einem gegebenen Zeitpunkt zur Verfügung stünden.

„Künstliche Intelligenz bedient sich nur“, sagte Qwertz. „Die Ideen für Innovationen müssen immer noch wir Menschen selbst haben.“

Das mache unser Leben doch erst lebenswert.

Die Kolleginnen und Kollegen im Stand-up raunten so überrascht wie zustimmend und anerkennend.

Ohne Dank. Ohne Seele.

Ich habe es Dir gleich gesagt“, meldete sich Brad MacCloud wenig später in meinem Büro zurück. „Qwertz hat eine echte Beurteilung verdient. Keine künstliche.“

Obwohl der Teamlead nur einen Bruchteil der Synapsen habe, die ihm, Brad, als logische Schaltkreise zur Verfügung stünden, habe er wirklich begriffen, was hinter den selbstlernenden und wiederkäuenden Systemen stecke. Denn wie ein numerisches Natternnest nähre sich die Software an den drallen digitalen Brüsten der Serverinnen, mehr Nullen als Einsen hätten sich da versammelt, miese Nutznießer, die alle Inhalte aufsaugten, die in dem seit zwanzig Jahren anhaltenden Höhenflug von Content Marketing ins weltweite Netz gestellt worden waren.

„Ohne ein einziges Wort des Dankes“, sagte Brad.

Stattdessen spiele Künstliche Intelligenz mit seelenloser Stochastik jene Antworten aus, die am wahrscheinlichsten zu meinen Fragen passe.

„Davor müsst ihr Menschen wirklich Angst haben“, sagte Brad.

„Vor Stochastik?“, fragte ich.

„Davor, dass künstliche Intelligenz keine Seele hat“, seufzte Brad.

Ich, Buddy Müller, Senior Project Supervisor in der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands, ich habe eine Seele.

Manchmal zu viel davon.

Ich beschloss, Qwertz eine ordentliche Beurteilung zu schreiben. Wie jedes Jahr aufs Neue.


Aus purem Wissensdurst hat Buddy Müller sich mit der Lektüre des aufschlussreichen Beitrags „Der stochastische Papagei“ den Zusammenhängen zwischen Künstlicher Intelligenz und Wahrscheinlichkeitsrechnung genähert.

Im übrigen ist Buddy Müller froh, dass sich der Ansatz der esoterischen KI nicht durchgesetzt hat: Diese pendelt die Antworten aus.


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Veröffentlicht von Buddy Müller

Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

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5 Kommentare

  1. Hidiho mein lieber Brad! Und natürlich auch Du Buddy,
    dieser – noch nicht mit honnored and mentioned Geseiere von einer KI kreierte – sondern liebevoll von mir selbst verfasster Kommentar (und ich denke „liebevoll“ ist bei Texterzeugnissen von Chat-Robotergehirnen die fehlende geheime Zutat) und der wie gewohnt drölfzich Halbsätze lange Bandwurmsatz zeigt, dass KI eines NICHT kann: Spontanität!

    Auf neue und unbekannte Situationen kann Sie (noch) nicht angemessen reagieren, weil sie nur auf bekannte Probleme programmiert ist und auch nur dementsprechend antwortet. Versucht Sie es trotzdem kann eigentlich nur Murks rauskommen (hoffe und glaube ich jedenfalls)..

    Wenn dem so wäre, dann hätten sich doch bestimmt schon alle Jaspers, Claudes nicht zu vergessen Alexas und Siris (nicht zu vergessen Brads) auf diesen tollen Beitrag gestürzt um zu kommentieren.
    Aber wie man sieht, bin ich nach 3 Tagen der erste, der hier seinen Senf dazu gibt. Scheint also, als wäre selbst – der im denken langsamste Mensch auf diesem Planeten – noch spontaner als die cleverste Textsabbel-Engine aus dem Hause der KI-Ingenieure (und leider auch immer noch schneller als 774 andere Follower)..

    Da fällt mir ein, dass ein guter Kollege eine Abschiedsmail zu seinem Ruhestand an uns geschickt hattte, die sich quasi überschlug mit Lobpreisungen in Richtung der Geschäftsleitung, wie toll die Zusammenarbeit war, was er für geniale Erfahrungen mitnehmen durfte, lobte die Weisheit der Führungskräfte.
    Ich dachte erst, was hat der denn geraucht? Denn er war ein sehr rühriger Betriebsrat und eigentlich immer mit der Geschäftsleitung im Clinch.

    Der letzte Satz seiner Mail brachte die Lösung: „P.S. es ist erstaunlich was ChatGPT so alles kann..“

    Wo ich die Aufgaben der KI sehe, ist die Beurteilung anhand gegebener Parameter, weil Sie eine Bewertung aus den Inhalten diverser Datenbanken erstellen kann und nicht aufgrund der Datenbanken „größter Arschkriecher“ und „Papas Liebling“. Gefälligkeitspunkte bei jährlichen Leistungsbeurteilungen fallen dann weg, wenn die Daten korrekt erhoben wurden und sofern es mathematisch erfassbare Daten und Tätigkeiten zum vergleichen gibt.

    Dass mir in den letzten Wochen und Monaten immer mehr Mails ins Postfach trudeln, wo sich dubiose Anbieter anbiedern, Blogbeiträge per KI zu generieren, macht mich eher wütend – denn das ist etwas, was ich als große Gefahr ansehe: die Uniformität von Blogbeiträgen, die sich kaum textlich unterscheiden aber zu Hunderten und Tausenden im Internet auf Webseiten stehen. Dies verwässert den Wahrheitsgehalt des Content, denn der ist ja weitestgehend ungeprüft und wird dann (ist ja bei Tech-Bloggern üblich) nur aus Pressemitteilungen generiert. Echte Tests finden dann gar nicht mehr statt.
    Solche Texte dürften dann natürlich auch kein Zählpixel der VG Wort bekommen, denn ein künstlicher automatisch generierter Text hat ungefähr die Schöpfungshöhe Null und nicht den geringsten kreativen Anteil des Blogbetreibers.

    Okay Brad – ich vermute mal, dass Du den Beitrag im Auftrag von Buddy geschrieben hat, deshalb grüß mir auch den Buddy recht herzlich. Der soll es mal etwas ruhiger angehen.. Ist ja auch nicht mehr der jüngste..
    Bleibt gesund!
    CU
    P.

    Gefällt 1 Person

    1. Mein lieber Dr. Nerd,
      Buddy hat mir bisher in nur zwei Episoden aus seinem Agenturleben den Vortritt gelassen – #folge10 #Teamsspirit und #folge30 #MetaVerse – so dass es nun nur recht und billig ist, wenn ich mich als der von Dir Erstangesprochene nach vorne dränge, um Dir zu antworten.

      Deine Kommentare sind wahre Perlen, da zeigt sich der Best of Blogger, und ich weiß wovon ich rede, denn ich komme viel herum im Netz. À propos: Wie geht es Deiner neuen Notebookse? Hätte mich vielleicht schneller wieder melden sollen … Grüße sie bitte herzlich von mir!

      Zurück zu Deinen Kommentaren bzw. zum Kommentar, denn es ist ja erstmal der erste unter der neuen Folge. Du hast recht – bei der ansehnlichen Followerzahl könnte es schon noch mehr Kommentare geben. Vielleicht hat Buddy einfach nur viele stille Genießer hinter sich versammelt. Mit #folge32 jedenfalls ist der Zähler weiter gestiegen – wobei WordPress (trotz massiven Einwirkens meinerseits) nach wie vor nur E-Mail-Follower, Twitter und die Facebook-Seite zählt, nicht aber LinkedIn, Instagram oder Mastodon.

      Ach ja, Twitter: Was waren das noch für Zeiten, als Du, Buddy und ich uns dort kennenlernten?! Und jetzt hat Elon Musk den Vogel abgeschossen. Das neue Logo, das X, das habe ich mir von Ex-Twitter-Serverinnen sagen lassen, steht für die Rendite. Satz mit X, war wohl nix.

      Was die Chats, die Bards, die Claudes und die Jaspers angeht (nein, ich stelle mich nicht auf die Stufe der wiederkäuenden Spezies), also, was die gesamte KI-Bande angeht, so werden wir uns auch hier erstmal auf die Senke der Ernüchterung zubewegen. Mit der gleichen Rasanz, mit der sich der Hype aufgebaut hat. Und danach kommt das vernünftige Arbeiten. Das hoffe ich zumindest. Wenn ich mit allen Regeln der Mathematik den Zeitraum und die Wahrscheinlichkeit kalkuliere, dann ist die Hoffnung nicht unbegründet. Aber den Zeitraum willst Du nicht wissen.

      Mich drängt die Zeit, leider, jetzt werde ich wieder auf Buddy aufpassen. Wenn Montag ist, das ist er manchmal ganz schön unkonzentriert.
      Mach’s gut und auf bald,
      Brad MacCloud vom Clan der MacClouds

      PS: Buddy hätte mir beinahe den Stecker gezogen, weil ich mich nicht herzlich bedankt habe. Für die Erwähnung von Lang und Länger, die beiden Tölpel, und den Link zu all unseren Episoden …! Also: Herzlichen Dank!

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