#folge36 #DieFrageAllerFragen

Wenn die Welt sich zum Jahresende nach Besinnung sehnt, zieht in den Unternehmen das Balgen um die Budgets ein – bis zur Besinnungslosigkeit. Buddy Müller und seine Agenturgenossen machen da keine Ausnahme. Vielleicht hilft ein Trick.

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Obwohl in unserer Agentur für alle Texte ein striktes Binsenverbot gilt – doch nur für unsere Autoren, nicht für das, was uns unsere Kunden hineinredigieren –, manchmal trifft eine Binse es halt doch am besten: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.

Wobei ich im Augenblick nicht den geringsten Grund zur Freude sah.

Für niemanden.

Bloß nicht für die Falschen!

„Du hast angefangen“, zischte Lila Stiefelchen, unsere ebenso blonde wie blitzgescheite Praktikantin aus der Controlling-Abteilung.

„Nein, du hast angefangen“, konterte Qwertz, mein Lieblings-Teamlead.

„Nein. Das warst du!“, hielt Lila Stiefelchen dagegen.

„Nein, du!“

„Du, du, du!“

Lila Stiefelchen drehte sich hilfesuchend zu mir: „Er hat angefangen, Chefff!“

Ich war mir augenblicklich nicht ganz sicher, ob ich wirklich bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands war.

Sicher war ich mir allerdings, dass ich es jetzt schon bereute, den War Room betreten zu haben, unseren gläsernen Besprechungsraum, in dem wir unsere Zahlenschlachten vorbereiteten und schlugen.

„Gar nicht wahr!“, sagte Qwertz, „Sie hat angefangen!“

Er richtete sich in seinem Eames-Chair auf und blickte nicht weniger hilfesuchend als seine Kollegin nach links, nach rechts und dann zu mir herüber.

„Jetzt bloß nicht für die Falschen Partei ergreifen“, warnte mich Brad MacCloud.

Ich baute meinen MacBook Pro, der mir seit langem ein treuer und nur von mir zu hörender Freund und Ratgeber war, betont langsam auf dem Tisch vor mir auf.

Erstmal Feuerpause.

Ein Waffenstillstand war weit entfernt.

Ein Ergebnis noch weiter.

Ringen um die Rubel

Lila Stiefelchen stand am wandfüllenden Monitor und führte durch die Excel-Kalkulation, die sie für die Jahresbudgetgespräche mit einem unserer wichtigsten Kunden, dem weltweit führendsten Hersteller Deutschlands von Horizontalspülbohrmaschinen erstellt hatte. Wir hatten ihm unlängst einen Newsroom aufgedrängt, äh, aufgebaut.

In starker Hoffnung auf Folgeaufträge hatte sich deswegen heute die Crème de la Crème unserer Agentur im War Room am runden Tisch versammelt. Konzeption, Design, Redaktion und auch Controlling, kein Sahnehäubchen auf unserer Torte fehlte. Von der jeder ein Schnittchen abhaben wollte.

Denn während sich draußen in den zunehmend weniger von Schnee bedeckten Landen zumindest dekorativ die Weihnachtsstimmung einstellte, tobte drinnen zwischen Unternehmen und ihren Dienstleistern ein heißer Kampf um die Budgets des folgenden Jahres.

Dabei rangen wir selbst erstmal um die Stimmigkeit der Zahlenreihen.

Mythos milder Kunde

„Ihr werdet immer gleich so emotional“, sagte Brad MacCloud.

Was kein Wunder war: Ein kurzer Blick auf die Tabelle an der Wand zeigte mir die reichlich knapp bemessenen Stunden in allen Gewerken – offensichtlich war unsere Taktik, mit nicht zu hohen Forderungen in die Verhandlung zu gehen.

„Als ob jemals ein Kunde so milde gestimmt worden wäre“, sagte Brad.

Die Rendite, brummte ich, würde immer im Verkauf verschenkt, das könne hinterher niemand einholen.

„Dann müssen die Redakteure schneller schreiben!“, rief Lila Stiefelchen. Sie hatte meinen leisen Kommentar wohl gehört.

Konzeption, Design und Projektmanagement stimmten eifrig nickend zu.

„Seht ihr nicht?“, rief Qwertz, „Sie hat angefangen, nicht ich!“

Die Kalkulation, fuhr Qwertz fort, würde hinten und vorne nicht funktionieren. Die trotz allem von allen verehrte Kollegin würde nicht berücksichtigen, dass im Newsroom sein Redaktionsteam mehr Kanäle betreute, mit mehr Medien und mit größeren Umfängen als je geplant, so dass auch ohne eine 18spaltige Tabellenkalkulation sofort klar wäre, dass die Rechnung nicht aufgehen könne.

Obendrein würde sich das Finden und Umsetzen von aktuellen sowie strategischen Themen als sehr aufwendig erweisen, schob Qwertz nach.

„Wenn die Themenintelligenz nicht vorhanden ist“, schoss Lila Stiefelchen ihren nächsten Pfeil ab, „solltet ihr lieber auf künstliche Intelligenz setzen.“

Konzeption, Design und Projektmanagement stimmten eifrig nickend zu.

„ICH könnte Qwertz helfen“, sagte Brad MacCloud, ungehört von den Kontrahenten. „ChatGPT ist nur ein virtueller Wiederkäuer!“

Wenn eine Null fehlt

Die Glastür zum War Room flog auf.

Selten bezeichne ich es als Glück, wenn der EmmDee, unser Managing Director, auftaucht.

Doch dieses Mal war ich für die Ablenkung dankbar, als er hereinstürmte, die beiden Volontäre Lang und Länger hinter sich her schleifend, von denen der eine immer lang und der andere immer länger arbeitete.

„Passt mal auf, ihr Jungspunde“, schwadronierte der EmmDee auf dem Weg zu Monitor und Tabelle, „jetzt könnt ihr noch was lernen.“

Er tippte mit der Kaffeetasse gegen das Monitorglas.

„Da fehlt eine Null“, sagt der EmmDee. Die Tasse schwebte in Höhe der Ergebniszeile.

„Siehste!“, triumphierte Qwertz in Richtung Lila Stiefelchen.

„Mehr Budget wird nicht drin sein“, widersprach sie.

„Dann müssen die Redakteure schneller schreiben“, sagte der EmmDee.

„Siehste!“, triumphierte Lila Stiefelchen.

Konzeption, Design und Projektmanagement stimmten eifrig nickend zu.

Auch Länger reihte sich bei den willigen Wackeldackeln ein: „Ich denke, das ist einmal mehr ein beeindruckendes Beispiel von vorbildlicher Führungsstärke und vordenkender Fachkompetenz unseres EmmDee. Es ist absolut beeindruckend, wie er in wenigen Bruchteilen einer Sekunde erfasst, wo das Malheur liegt und wie diesem abgeholfen werden kann. Wir werden unser Bestes geben, um …“

„Du denkst?“, stoppte ihn Lang. „Mit was denn?“

Länger holte lang Luft zu einer längeren Replik.

Eine Handbewegung des EmmDee ließ es nicht so weit kommen.

„Umsatz oder Ergebnis, eines muss nach oben“, sagte der EmmDee. Am besten beides. Vor allem wolle er im kommenden Jahr keine Sparmaßnahmen ergreifen müssen.

Lang warf einen Blick auf Länger: „Dabei wäre Einsparen so einfach.“

Kakophonie der Kalkulation

„Sparmaßnahmen“ ist ein Unwort, das niemand gerne hört. Im Arbeitsleben im Allgemeinen und im Agenturleben im Besonderen ist es ein regelrechtes Triggerwort.

So auch bei uns. Die anwesenden Gewerke stellten sofort das Nicken ein und begannen zu reden.

Alle. Alle gleichzeitig.

„Ich kann auf niemanden in meinem Team verzichten!“

„Ich auch nicht.“

„Ich schon zweimal nicht.“

„Ich immer zweimal mehr wie Du.“

„Als. Als Du.“

„Ihr müsst das Projekt effizienter steuern!“

„Mit der richtigen Software wäre das kein Problem!“

„Das sage ich seit Jahren!“

„Wir müssen erst die 153 wichtigsten Teilschritte priorisieren.“

„Was wäre, wenn Controlling mehr Stunden einplanen würde?“

„Oder wenn Projektmanagement die Stunden genau erfassen würde?“

„Oder wenn Design weniger mit Brand diskutieren würde?“

„Muss man dazu immer in Barcelona anrufen?“

„Mañana, mañana!“

„Wenn nichts hilft, drehen wir an der Preisschraube.“

„Der Seitenpreis darf nicht unter 1000 € rutschen!“

„Das sind alles digitale Medien.“

„Dafür braucht ihr die besten Serverinnen!“

„Egal. Nicht unter 1.000 €!“

„Konzeption muss dem Kunden mal genauer zuhören.“

„Und pünktlicher liefern!“

„Design muss mehr mit dem Kunden reden.“

„Und pünktlicher liefern!“

„Redaktion muss mehr mit dem Kunden …“

In dieses Stimmengewirr babylonischen Ausmaßes hinein stellte ich eine Frage, die eine, alles entscheidende. Die eine, die Gegenspieler in jedem Besprechungsraum der Welt dazu bringt, innezuhalten und über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens nachzudenken, um mit frischer Perspektive wieder ans Werk zu gehen.

„Wo stellt ihr eigentlich dieses Jahr euren Weihnachtsbaum auf?“, fragte ich.

Stille. Absolute Stille.

Man hätte Tannennadeln fallen hören können.

Alle blickten mich an. Verwundert. Verständnislos.

Immerhin schweigend.

Langsam kehrte das Verstehen in die Blicke meiner Kolleginnen und Kollegen zurück, ihr Nicken war ein erkennendes, kein billig-williges mehr.

Denn auch diese Binse gilt für alle Zeiten: Wenn zwei sich streiten, vereint sie der Dritte.

Übrigens, die Budgetverhandlungen der darauffolgenden Tage meisterten wir mit Bravour. Und mit einem fast zweistelligem Umsatzplus.

„Na also“, sagte Brad. „Geht doch.“


Auch unterjährig hat Buddy Müller in Gruppendiskussionen mit der Frage nach dem Weihnachtsbaum großen Erfolg. Er überlegt, sich die Methode als „Extreme Reframing“ schützen zu lassen.

Buddy Müller und sein Team wünschen ein frohes Fest, eine zwistlose Zeit und für das kommende Jahr nur das Beste!


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Veröffentlicht von Buddy Müller

Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

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2 Kommentare

  1. Herrlicher Text! Danke Buddy! Schön zu lesen, dass es überall ähnliche Themen und Herangehensweise gibt. Inklusive des „Theaters“ dazu. Wahlweise Drama oder Komödie. Anyhow – wir befinden uns im letzten Akt für 2023. Dann geht der Vorhang zu… Grüße Charles Canary

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  2. Hallo Buddy! Und auch herzliche oder sagt man da „Zeh-Peh-Uh“-liche Grüße, denn das Herz deines treuen Rechnenknechts Brad ist ja eher ein Silizium-Derivat – eine fehlende Aorta und anderes Blutfördernde Leitungen können ein Vorteil sein – vor allem, wenn der biologische Gegenpart in „das Alter“ kommt..
    Bei mir jährt sich das Weihnachtsfest nun das 65. Mal. Bewusst erlebt? Na, klammern wir mal die ersten 10 Lebensjahre aus – und die letzten 20 aufgrund einer nicht vorhandenen Familie aus- bleiben so knapp 35 Weihnachtsfeiern der Familie, die alle irgendwie eine Blaupause für den Film „schöne Bescherung“ mit den verrücketen Grisworlds war. https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6ne_Bescherung
    War Privat das Weinachtsfest – (das war jetzt kein Schreibfehler, sondern zu keiner gezwungenen Familienvereinigung wurde mehr geheult als zu Weihnachten – weshalb ich dieses Fest mit Vorliebe alleine bestreite) schon Katastrophe pur, so ist das hauen und stechen um das Budget des nächsten Jahres schlimmstes Krämertum – und ganz sicher eine Sünde. OK.. was ich als Atheist, der grade mal die Pflichtstunden im Reli-Unterricht abgesessen habe als Sünde interpretiere, ist natürlich nicht relevant – doch ich sehe durchaus Gemeinsamkeiten zu meinem Arbeitgeber.
    Zu sehr ins Detail gehen darf ich natürlich nicht – Verschwiegenheitspflicht – aber das beschreibene Szenario ist 1:1 übernommen. Außer dass unser Glaskasten größer ist, natürlich auch imposanter und einen eigenen Catering-Service hat..
    Ansonsten: die Diskussion ist nur zu bekannt…
    Dir ebenfalls ein frohes Fest – ich denk wir lesen uns auf den bekannten Kanälen 😉
    Bleib gesund bis dahin.
    Herzlich
    P.

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