#folge22 #BeBatman

Wenn man sie hat, darf man sie nie wieder gehen lassen. High Potentials, die sich für den Kernerjob in einer Agentur entscheiden, müssen umsorgt werden. Das ist eine Aufgabe wie für Buddy Müller höchstpersönlich gemacht.

Für einen Job in der Agentur schadet es nicht, einen Superhelden als Vorfahr zu haben. Warum nicht Batman?

Verzweiflung machte sich breit. Schlimmer noch, sie ging viral. Was auch begrifflich zutraf, denn der Virus der Wechselwilligkeit infizierte mit unglaublicher Geschwindigkeit alle Wirtschaftsbranchen. Kollegen wurden knapp; sie waren schneller weg, als man „Gehaltserhöhung“ sagen konnte.

Insbesondere das Agenturleben schien sich rasant vom Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt gewandelt zu haben. Einst war stets für Nachschub gesorgt, so sehr lockte das glamouröse und scheinbar hochbezahlte Agenturleben.

„Nachschub an Nachwuchs war so sicher wie an Prosecco“, erinnerte sich Brad MacCloud, mein sprechendes MacBook Pro.

Motivation im Meeting-Room

Ich seufzte. „Heute scheinen unsere Jobs so attraktiv zu sein wie ein Pickel auf der Stirn im Pitch.“

Statt Alkohol oder gar Härterem brauchte es Onboarding-Boni, Retention-Programme und mindestens drei Corporate-Purpose-Kampagnen auf Insta.

Und es brauchte Motivations-Meetings.

Denn den Nachwuchs zu binden, war einer der wichtigsten Jobs. Einer für die Besten. Den Besten.

Deswegen rief ich, Buddy Müller, Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands, unsere zwei Volontäre zusammen: Lang und Länger, von denen der eine immer lang arbeitete und der andere noch länger.

Wir saßen früh am Morgen, also so gegen zehn Uhr, in gebührendem Corona-Abstand in unserem gläsernen War Room. Dessen Wände waren verklebt mit vor sich hin gilbenden Ideenskizzen unserer siegreichen und leider weniger siegreichen Präsentationen.

Lang und Länger gehörten schon eine Zeit lang zur Belegschaft, die Probezeit hatten sie durchgestanden. Was sie verdächtigt machte, bereits wieder auf dem Absprung zu sein.

In der Branche lockten Direktoren-Posten, die auch Berufsneulingen eine Chance gaben.

Das machte Lang und Länger zu perfekten Zielen für meine Motivationsinitiative.

Dry Age? Delegieren!

„Guten Morgen, die Herren“, grüßte ich. „Eingelebt?“

„Moin!“, sagte Lang.

Was ich als ‚Ja‘ interpretierte.

„Guten Morgen, Herr … Müller … Buddy. Danke der Nachfrage: Die Kollegen haben uns sehr schnell aufgenommen und uns wahrlich jede Menge zu tun gegeben“, sagte Länger.

Dass Länger sich mit dem agenturüblichen Duzen schwer tat – geschenkt. Wirklich schwer wog etwas anderes.

„Die Grundlagen hat euch noch keiner beigebracht?“, fragte ich. „Mögt ihr Kaffee?“

„Ja“, sagte Lang.

„Gerne, vor allem die milderen Dry-Aged-Sorten sind überaus wohlschmeckend“, sagte Länger.

„Warum kocht ihr dann keinen?“

„Sein Job“, sagte Lang und wies in Richtung Länger.

„Delegieren kann er“, meldete sich Brad MacCloud zu Wort. „Ich trage ihn gleich mal für unser Young-Executive-Program ein.“

Gut, dass nur ich meinen hilfsbereiten Notebook hören konnte.

Keine zehn Minuten später hatte ich einen tiefschwarzen, fein duftenden Lungo Mercenario vor mir, den Länger unserer Siebträgermaschine abgetrotzt hatte.

Ohne sich dabei zu verletzen. Zumindest nicht ernsthaft.

„Na also“, sagte ich. „So macht man das.“

Das war ein Lob.

Herleitung der Hierarchie

Die Basics waren für die beiden schon erledigt, etwa unsere individuelle Warteschleifenmusik. Lang hatte sich „Legendary‘“ gewünscht, Länger wollte „Objects in the rearview mirror may appear closer than they are“.

Aber das Agenturleben ist kein Wunschkonzert. Anrufer würden bei Lang und Länger „Absolute Beginners“ vernehmen.

Wichtiger war, die jungen Kollegen über unsere flachen Hierarchien aufzuklären – ganz oben stand der liebe Gott, dann kam der internationale Vorstand, dann lang und länger nichts, dann der EmmDee, der Managing Director, und dann Dr. No, seine prohibitiv veranlagte Assistentin (wobei die beiden sich über die Reihenfolge nie einig waren).„Dann“, sagte ich, „kommen viele Stufen und Funktionen, über- und nachgeordnet.“ Flacher ginge eine Hierarchie kaum, denn die hätten alle nichts zu sagen.

„Außer einem“, erklärte ich. „Der bin ich.“

Brad MacCloud räusperte sich. Mehrfach.

Lang warf mir einen zweifelnden Blick zu, während Länger eifrig die beigen Seiten seines Notizbuchs vollschrieb.

Langs Blick merkte ich mir für später. Und mit Brad MacCloud würde ich auch reden müssen.

Suchen auf dem Server

Erstmal musste ich den beiden aufstrebenden Kollegen beibringen, was sie zum Überleben im Agenturgeschäft brauchten. Also verwies ich auf unser Virtual-Survival-Package: Workflows, Prozesse, Formate-Handbücher, eine Anleitung, wie die Agentursoftware funktionierte (wenn sie denn funktionierte), sowie die digitalen Versionen von „Deutsch für echte Profis“ und „Kommasetzung trotz Social Media“.

Lang nickte nur, während mich Länger fragte: „Bitte, wo finden wir denn das wertvolle Virtual-Survival-Package?“

„Das liegt auf dem Server.“

„Wo bitte denn genau?“

„Findet es heraus“, sagte ich. „Ihr wollt doch Agenturprofis werden?“

Schon mein eigener erster Chef, der sich für eine Reinkarnation von Jack London und Zar Peter dem Großen in einem gehalten hatte, bläute mir einst ein: „Komm mir nicht mit Fragen, komm mir mit Lösungen.“

„Wenn du es gefunden hast“, sagte Lang zu Länger, „schick‘s mir rüber.“

Respekt. Wenigstens einer der beiden lernte schnell. Der andere brauchte länger.

Was mit Content

Wobei beide auf ihre Art engagiert wirkten. Was in mir die Hoffnung nährte, Überzeugungstäter vor mir zu haben.

„Was hat euch für den Agenturjob begeistert?“, fragte ich.

„Geld“, sagte Lang.

„Wenn es früher hieß, ich will was mit Medien machen“, beeilte sich Länger zu sagen, „dann heißt es heute, ich will was mit Content machen. Ich will mit meiner Arbeit Menschen begeistern. Ich will meine Rezipienten überraschen und bewegen. Ich will, dass meine Auftraggeber mich für meine Beiträge schätzen, dass sie mich mit Respekt ansehen und als echten Partner für ihre Kommunikation behandeln. Auf Augenhöhe. Dass ich mein Wissen für Haltung und Nachhaltigkeit einsetzen kann. Das ließ mich diese Berufswahl treffen.“

„War der Junge schon mal beim Traumdeuter?“, fragte Brad MacCloud.

Tausch der Gläser

Draußen sah ich Lila Stiefelchen und Qwertz am Kopierer stehen. Meinem Lieblings-Teamlead stand nicht nur der Tastaturschlaf auf der Stirn, sondern auch der Hoffnungsschweiß auf einen wohlwollenden Blick unserer Controlling-Praktikantin.

Die wiederum reagierte nur allzu bereitwillig auf meinen Wink und wechselte schnell zu uns in den War Room. Qwertz trottete hinterher.

„Erzählt den beiden hier mal, was euch in die Agentur gebracht hat“, sagte ich.

„Also“, begann Stiefelchen, „zuerst wollte ich empirische Biogenetik studieren …“

„… dann hast du festgestellt, dass dir das Sektglas besser steht als das Reagenzglas?“, scherzte ich.

Aber niemand lachte mit. Auch nicht Länger.

„Fail“, sagte Lang.

„Epic Fail“, sagte Länger.

Wieder etwas für später.

„Chefff“, lächelte Lila Stiefelchen kühl, „wir sehen uns morgen. Beim großen Projektabschluss.“

Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu, drehte auf ihrem halben Quadratzentimeter Absatz um und schritt hinaus.

In solchen Situationen ist Ablenkung das oberste Gebot.

„Äh, Qwertz“, fragte ich, „warum bist Du zu einer Agentur gegangen?“

„Ich habe nichts Gescheites gelernt“, antwortete er. „Wenn man von allem nur ein bisschen kann, davon aber zwei Stunden erzählen, dann ist man hier doch genau richtig.“

Und das von meinem Lieblings-Teamlead. Ich schob den Verräter an unserer Sache zur Tür hinaus.

„Warum probiert er es damit nicht in der Politik?“, fragte Brad MacCloud.

Was es wirklich braucht

„So … so hat wohl jeder seinen eigenen Antrieb“, sagte ich und nestelte an meiner schwarzen Strickkrawatte. „Rekapitulieren wir: Was braucht man, um in einer Agentur erfolgreich zu werden?“

Länger holte lang Luft.

Ich war sicher, dass er Anlauf nehmen wollte.

Um zu erzählen, dass man Wissen und Gefühl brauche für Marken, Märkte und Zielgruppen, für Storys, Medien und Kanäle und für die Wirkung der Inhalte. Dass es darum gehe, Leuchtturm-Medien zu erschaffen, dass jedes Projekt das Vorangegangene übertreffen und reichlich Awards gewinnen müsse – bei steigender Rentabilität, natürlich. Dass man sich auf jedem Parkett sicher bewegen müsse und sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen lassen solle, nicht durch Chefs, nicht durch Kolleginnen und Kollegen, nicht durch Kundinnen und Kunden …

Doch Lang hob nur den Finger – und Länger schwieg.

„Be cool“, sagte Lang. „Be Batman.“

„Ich sehe“, sagte ich, „ihr habt es kapiert.“


Batman wurde geschaffen von Bob Kane.

Das war 1938. Ein Doppelleben, ein rasiermesserscharfer Verstand, tollkühner Mut, Selbstlosigkeit und unermesslicher Reichtum aus dem Erbe der Eltern prägen den Charakter dieser fiktiven Figur. Außerdem hat er immer einen Robin, den er schicken kann.

Vereinzelt gibt es Übereinstimmungen mit Buddy Müller und anderen Agenturgenossen.


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Veröffentlicht von Buddy Müller

Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

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13 Kommentare

    1. Eines noch: Ich habe beschlossen, für die nächten zwei Wochen für jeden, der mich hier per E-Mail abonniert, fünf Euro an die Ukraine-Hilfe des DRK zu spenden. Jeder hilft, wie er kann – ich mache es mit einem Lächeln 😉

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  1. Hi Buddy,
    ich wusste erst nicht, was für ein Entrée ich wählen sollte – Ihr Beiden (natürlich Brad und Du – oder sagt man Du und Brad? – wer von euch beiden die wichtigere Person ist, ist etwas strittig, aber Du merkst schon, meine gefürchteten Bandwurmsätze sind fast so ausschweifend, wie die Lobhudelungen von Länger) macht es mir da nicht leicht – es gibt einfach zu viele Anknüpfpunkte:
    – sollte ich anmerken, dass man gute Mitarbeiter erst wertschätzt, wenn Sie weg sind?
    – dass Du bei Lila Stiefelchen verkackt hast, bis in die Steinzeit, Du alter Chauvi.. ;-)?
    – dass Lang aufgrund seiner Wortkargheit wahrscheinlich aus dem Küstenbereich unserer Republik kommt?
    – dass ich mich immer freue, wenn ich von Dir einen neuen Blick auf deinen spannenden Arbeitsalltag werfen kann?
    – dass Prosecco auf Dauer keine richtige Mahlzeit ersetzen kann?
    – dass vergilbte Projektleichen aber mal sowas von schnell entsorgt werden müssen, will man nicht in der Vergangenheit festhängen. Wie hat noch eine berühmte Person gesagt: „Vorwärts immer – Rückwärts nimmer!“
    Na, ja – so richtig erfolgreich war er trotz des markigen Spruchs trotzdem nicht. Ach sorry.. Ihr sagt ja neudeutsch „Claim“ dazu – glaub ich. Du merkst – ich versuche mich in eure Gedankenwelt hinein zu versetzen.

    Hmm.. ich glaube, es ist all das zusammen..
    Apropos: QWERTZ (obwohl ihr den ja eigentlich QWERTY nennen müsstet, wenn Ihr tollen Agentur-People eurer Liebe für das englische Sprachidiom treu bleiben wollt) hat mich da auf einen Gedanken gebracht:
    Ich kann auch vieles – aber nichts richtig gut. Und stundenlang quasseln ohne dass was sinnvolles dabei rauskommt, kann ich auch. Und ich kenn mich mit teuren Kaffee-Vollautomaten aus! Wie wär`s?
    Ein Job-Angebot im sechsstelligen Bereich und ich könnte mir vorstellen, das warten auf die Rente noch etwas nach hinten hinaus zu schieben – habe gehört, dass in den Agenturen die Türklinken aus purem Gold sind..
    Bleib gesund!
    CU
    P.

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    1. Hi Dr. Nerd aka P.,
      immer nur her mit den Bandwürmern in Satzform. Länger darf sich gerne daran abarbeiten, da lernt er noch was, und Lang kann sie kürzen. Kurz und bündig.
      Qwertz hat in der Tat nach einer neuen Tastatur gefragt, nach einer softeren, die sich nicht so eindrückt, wenn er bei seinen Überstunden darauf einschläft. Ich erwäge, Deinen Vorschlag aufzugreifen und eine US-Tastatur („QWERTY“) zu ordern. Das dazu notwenige Formular bei unserer zentralen Beschaffung hat mir Brad MacCloud schon rausgesucht, ausgefüllt und in der Bearbeitungsreihenfolge unauffällig auf Platz 3 geschoben. Keine Ahnung, was er der Serverin wieder versprochen hat.
      Du merkst, es läuft bei uns.
      Hoffentlich ist mir auch Lila Stiefelchen bald wieder wohler gesonnen. Ich kann Dir sagen, das Projektabschlussmeeting neulich mit ihr war kein Spaß. Wirklich nicht. Obwohl ich wirklich nur Spaß machen wollte …
      Jetzt schauen wir mal, was die nahe Zukunft noch bringt. Ich habe beschlossen, für jeden, der in den kommenden beiden Wochen meine Episoden hier abonniert, fünf Euro an die Ukraine-Hilfe des DRK zu spenden. (Nein, nicht für die Chauvi-Kasse. Ich kann auch anders.)
      Liebe Grüße, bleib mir gewogen
      Buddy

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