#folge16 #UnserBackground

Teams, Zoom & Co. haben Unternehmen wie Mitarbeitenden eines beschert: eine weitere Plattform zur Selbstdarstellung. Buddy Müller und Kollegen erleben, wie ein Kunde dazu steht, wenn er dahinter blicken kann.

Buddy Müller justiert seine Kamera. Wichtig: Zum Schwarz des Kreativen-Rollis harmoniert das Aschgrau des Hintergrunds am Besten.

Keine Pitchpräsentation verging ohne den Satz: „Unser Background ist …“. Der Boss, neudeutsch Managing Director, kurz EmmDee, ersetzte den Platzhalter „…“ in der Regel durch „ein journalistischer“. Wohl weil er selbst diverse Redaktionen in verschiedenen Positionen durchlaufen hatte, bis er an einen Agenturschreibtisch wechselte.

„Um dann doch mal richtig Geld zu verdienen“, kommentierte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds.

Hier irrte mein sonst allwissendes MacBook Pro. Im Agenturleben ist die Freiheit mittlerweile der größte Lohn. In Euro nicht zu bemessen.

Auch nicht bei Geschäftsführern.

Die goldenen Zeiten mit goldenen Tellern und goldenen Uhren waren schon lange vorbei. Was auch ein Grund war, warum unser EmmDee auf solche Details wie den Background achtete, um Kunden zu gewinnen.

Blurren wie Bilitis

Im Coronicum erhielt der Background eine weitere, besondere Bedeutung. Sogar der Background jedes einzelnen.

Zoom legte vor.

Sehr schnell, der erste Lockdown war gefühlt nur wenige Tage alt, stellte die Videokonferenz-Plattform mannigfache Möglichkeiten zur Verfügung.

Mit ihnen konnte jeder Videocall-Novize, neudeutsch jede*r Fulltime Equivalent*in, kurz: EffTeeEhh, von einem persönlichen, vielleicht eher durchschnittlichen Fachhintergrund ablenken und mit Business-Backgrounds auftrumpfen, die die Wahl zwischen Büros unter Palmen, Offices an der Madison Ave. oder wachsgrauen Waschbeton-Workplaces ließen.

Microsoft wäre nicht Microsoft, wenn es nicht umgehend nachgelegt hätte.

Abgesehen von noch nüchterneren, an verlassene Nachrichtenstudios erinnernde Büros gelang den Teams-Backgrounds der entscheidende Durchbruch mit dem „Blurren“. Damit legte sich ein Weichzeichner über alles, was hinter dem Videocallenden passierte. Und stellte einen David Hamilton und seine „Bilitis“-Fantasien in den Schatten (die alternden weißen Männer unter uns erinnern sich vielleicht).

Zugleich zeichnete das Blurren einen schimmernden Glanz rund um das bewegte Haupt des Video-Protagonisten, einem Heiligenschein gleich.

Auch Corona genannt.

„Jetzt ist aber mal gut“, unterbrach Brad MacCloud vom Clan der MacClouds meine Retrospektive. „Diese Firma aus Seattle macht keine Heiligen.“ Und, so mahnte mich Brad, ich solle besser daran denken, dass ich meine Gedanken auf einen echten MacCloud vom Clan der MacClouds tippe.

Hektik wegen Hintergründen

Ein Anruf von unserem erst kürzlich unter Aufbietung aller kommunikativer Kräfte zurückgewonnenen B2B-Kunden, dem weltweit führendsten Hersteller von Horizontalspülbohrmaschinen Deutschlands, versetzte zuerst unseren EmmDee und dann weite Teile der Agentur in heillose Hektik.

Denn der Marketingchef wünschte zeitnah ein virtuelles Chemistry Meeting mit allen für die erneute Zusammenarbeit wichtigen Funktionen. Er repräsentierte nicht nur eine Firma, die bekannt war für perfekte Produkte – eben Horizontalspülbohrmaschinen – sondern auch für eine konsequent durchgezogene Corporate Identity. Begonnen mit einheitlichen Kaffeetassen.

Und „zeitnah“ bedeutete „sofort“.

„Großer Gott“, rief der EmmDee mich an (doch er meinte nicht mich; ich bin ja nur Senior Project Supervisor), „wo nehmen wir jetzt einen homogenen Hintergrund für Teams her?“ Klare Linien, klare Farben, aufgeräumt, souverän – wie wir eben in der Agentur so seien.

Das war meines Erachtens gar nicht das Problem.

Sondern: Wie verhinderten wir, dass unsere Kolleginnen und Kollegen ihre individuellen Hintergründe ausspielten?

Der EmmDee selbst saß zum Beispiel wechselweise auf dem Eisernen Thron aus „Games of Thrones“ und im Mittelpunkt der Messerkreise aus „Knives out!“. Seine Assistentin, die stets verneinende Dr. No, saß – wenngleich dank Brads Mitwirken unfreiwillig – vor einer Kulisse, durch die Sean Connery mit Ursula Andress lustwandelte. Dr. No fragte viele, ob sie ihr nicht helfen könnten, einen anderen Background auszuwählen.

Doch sie erhielt stets die gleiche Antwort, nein, man könne nicht. Leider.

Qwertz, mein Lieblings-Teamlead, residierte wechselweise in der BatCave, fläzte auf der Couch von Family Guy oder startete im Cockpit einer F-16 durch. Währenddessen saß Lila Stiefelchen, die Controlling-Praktikantin, Woche für Woche vor einer jeweils anderen Auslage internationaler Schuhgeschäfte.

Bunt ging es zu bei uns. Manche gaben durch Flaggen in rot-weiß oder blau-weiß ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die von ihnen verehrten Fußballvereine doch bald wieder erstklassig spielen mögen. Andere hatten mitten im Flur des Hotels von „Shining“ Platz genommen (eine Anspielung auf ihren Geisteszustand?), wieder andere fuhren im ICE-Cockpit durch die Meetings, weil der Beruf ihnen jede Zeit für die Märklin H0 im Keller nahm.

Und schließlich: Urlaubsparadiese ohne Ende.

Wer nicht reisen konnte, der holte sich Meer, Mauritius und Mai-Tai als virtuelle Rückendeckung.

Das alles sollte nun im Handumdrehen vorbei sein?

Einblick ins reale Leben

Es musste sogar noch schneller gehen. Uns blieben nur wenige Stunden bis zur ersten Video-Runde mit dem neuen, alten Kunden.

„Dieser Call kann auch schnell der Letzte sein“, sagte Brad MacCloud. Viel mehr sagte er nicht, gerade noch, dass er diesmal leider nicht helfen könne, denn die Hintergründe seien ein Problem der Software dieser Firma aus Seattle, und da seien sogar ihm, oder gerade ihm, gewisse Grenzen gesetzt …

Ich winkte ab, gab stattdessen unseren Designteams noch ein paar richtig gute Tipps, etwa wo sie ein tolles Wallpaper finden und wie sie die Hintergrundgestaltung zielführender, schneller, gefälliger durchführen könnten.

So lange, bis sie nicht mehr auf mein Durchklingeln reagierten.

Um so gespannter war ich also, als wir uns zum Teams-Call mit dem Marketingchef versammelten. Würden unsere wundervollen, kräftigen Agenturfarben erstrahlen? Würde ein – hoffentlich lesbarer – Sinnspruch eine fiktive Wand schmücken?

Was ich sah, war verblüffend. Aber kein Hintergrund.

Schon gar kein einheitlicher.

Wir alle starrten uns gegenseitig ins reale Leben.

Wir blickten in Arbeitszimmer von der Größe einer Hundehütte. Wir sahen Wohnzimmer mit mehr Ikea-Bauten, als sie bei Ikea selbst standen. Wir sahen Kolleginnen und Kollegen in Küchen sitzen, deren unaufgeräumter Zustand mehr an Bacchanalien der vergangenen Nächte als an die Zubereitung eines Mittagsmahls erinnerte. Ich verdrängte das Kopfkino, wie es wohl im Schlafzimmer aussehen müsse. (Und wie es wohl hinter mir aussah.)

Wir sahen Kinder in den T-Shirts ihrer Lieblingsfußballvereine, die sich winkend und schmollend aus ihrem Kinderzimmer trollten, weil Mama oder Papa es als Arbeitszimmer requiriert hatten. Wir blickten in Garagen, Keller, Wäschespeicher, Vorratsräume und vieles mehr – es schien, als würden wir keinen, aber auch wirklich keinen noch so kleinen Raum auslassen, den eine Wohnung oder ein Haus als Home-Office zur Verfügung stellen konnte.

Unsere IT-Jungs waren machtlos, Brad schwieg beharrlich. Teams drückte dem Treffen einen eigenen Stempel auf.

Der EmmDee räusperte sich, versuchte sich zu fangen. „Schön, dass Sie wieder bei uns sind“, begann er. Guter Content überzeuge halt doch. „Unser Background ist schließlich ein journalistischer.“

Bei „Background“ zog der Marketingchef eine Augenbraue in die Höhe; ein Mundwinkel zuckte zum Lächeln und wurde von Teams nicht weggepixelt.

Davon ungerührt und routiniert führte unser Boss weiter durch seine Präsentation, so als würde die Realität nicht rigoros seine ursprüngliche geplante Selbstdarstellung ramponieren.

Und schloss, nach einem Schnelldurchlauf durch unsere jüngere Agenturgeschichte, unweigerlich überleitend zum wiedergewonnenen Kunden mit: „Wir freuen uns auf die erneute Zusammenarbeit!“

„Ich mich auch“, begann der Marketingchef, nun unübersehbar mit einem Lächeln. Er wisse ganz genau, warum er sich wieder für uns entschieden habe: „Ihr seid nämlich echte Menschen. Ihr habt keine virtuellen Hintergründe.“

Hintergründiger hätte er es nicht zum Ausdruck bringen können.


Buddy Müller mäandert im Home-Office zwischen Arbeits-, Wohn- und Esszimmer. Er überlegt schon seit längerem, ob er mit seiner Aufstellung an buntrückigen Leitzordnern oder mit der Sammlung an Salz- und Pfeffermühlen auf dem Board zum Room-Rating-Contest antreten soll.


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Veröffentlicht von Buddy Müller

Senior Project Supervisor bei der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

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6 Kommentare

  1. Moin, Buddy..
    Ja das kenn ich bestens. War bei uns genauso: „ach Mann, ruft der Vollpfosten vom Q8 wieder an?“ „Ja, lass bimmeln, der nervt!“ – und dann haben wir erst mal weiter Backgammon gezockt..
    Bei Bilitis habe ich sofort das Lied von Francis Lai im Kopf – fürchte dieser Film hat doch was mit mir angestellt. Wenn ich früher eine hässliche Freundin hatte (ich hatte natürlich NIEEEE hässliche Freundinnen) dann habe ich meine Brillengläser mit Margarine eingecremt – so unscharf war Sie dann doch wieder scharf – wenn Du verstehst, was ich meine..
    Das mit den Hintergründen ist tatsächlich ein Blick in die Seele des Menschen – manchmal auch nur in seine seelischen Abgründe, wenn der Kollege dummerweise vergessen hat den Hintergrund einer unschuldigen Urlaubsinsel zu aktivieren und man im Schlafzimmer das Andreskreuz mit den Handschellen erkennen kann.
    Aber ich verurteile niemanden dafür – wer wäre ich, denn in dieser weltoffenen und aufgeschlossenen Welt darf ja jeder seinen Fetisch ausleben, besonders, wenn es sich positiv auf seine Arbeitsleistung auswirkt..
    Trotzdem bin ich nicht sicher, ob das Wort Fetisch, was genuschelt wie „Feddisch“ klingt sich aus dem Wort „Fertig“ ableitet – was bei uns im Pott im Satz: „der ist ganz schön fertig“ nicht wirklich positiv besetzt ist.. Naja, das ist ein anders Thema.
    Ich bevorzuge bei Teams als Hintergrund meine Lagerhalle in Dortmund, wo ich meine ganzen Luxuswagen abstelle – auf meinem Grundstück ist kein Platz für alle.. Naja, Probleme der Superreichen halt..
    Schade, dass man keine Videos einbinden kann – wie es bei Photobooth früher der Fall war.
    Das wäre kurzweilig und sogar lehrreich. Je nach Inhalt des Videos wäre der Inhalt sogar interessanter als das Gesabbel der Person, die davor den Blick versperrt..
    Naja, vielleicht kommt das mit einem der nächsten Updates..
    Bleib gesund mein Lieber
    CU
    Peter

    Gefällt 1 Person

  2. Hui.. das sehe ich ja jetzt erst.
    Da hast Du ja auf meinen Beitrag zu dem Wallpaper verlinkt – das ist aber mächtig prächtig1 DANKE, mein Lieber!!
    Da musste ich mich ja gleich dransetzen um Brads Gefühle nicht zu verletzten. Ich weiss ja nicht wie weltoffen er ist – momentan scheint die Welt ja nicht so besonders harmonisch zu funktionieren, bei verschiedenen Glaubensrichtungen – auch wen Seattle und Cupertino jetzt nicht so weit auseinander liegen. 😦
    Ich habe deshalb EXTRA FÜR BRAD auch noch ein heißes Fotoshooting mit einer Angehörigen seiner Religion anberaumt. Ich hoffe das Modell konnte die kühle Erotik einigermaßen glaubhaft rüberbringen. Sie ist noch neu im Modell-Business musst Du wissen..
    Liebe Grüße
    P.

    Gefällt 1 Person

    1. Es war mir ein Vergnügen! Schade, dass unsere IT-Jungs das Angebot nicht wirklich zu würdigen wussten. Brad sagt übrigens, er sei sehr, sehr weltoffen – er habe auch schon „diese Firma in Seattle“ besucht, man müsse ja wissen, wo der Gegner stünde … Ich glaube, das mit dem Gegner meint er nicht ernst, wahrscheinlich hat ihn dort eine VPN-Serverin einfach abblitzen lassen.
      Seit er Deinen Kommentar gelesen hat, nölt er immer wieder rum, wann er denn das Ergebnis des Shootings zu Gesicht bekommen könne. Typisch. Kann auch sein, dass er Deinem Netzwerk einen Besuch abstattet. Also nicht wundern. Brad ist meistens harmlos.

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